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Am 02. April 2005 führte die NPD-Thüringen einen Landesparteitag im Pößnecker Schützenhaus durch. Zum anschließenden RechtsRock-Konzert kommen ca. 1500 Rechtsextreme aus dem gesamten Bundesgebiet und dem nahen Ausland. Es spielen die Bands Odins Law und English Rose aus Großbritannien. Agitator (Niedersachsen) und Gegenschlag (Hessen). Hauptattraktion ist jedoch der Auftritt der Lunikoff-Verschwörung (Ex-Landser) mit dem Sänger Michael "Lunikoff" Regener, welcher wenige Tage später seine Haftstrafe antrat.
Aus diesem Grund sahen sich mehrere Pößnecker "gezwungen", gegen die steigende rechtsextreme Gefahr in Pößneck vorzugehen.

Pößneck hat seit vielen Jahren schon ein hohes Potenzial an rechtsextremen Strukturen. Und seit dem Kauf des Schützenhauses durch die Briefkastenfirma Wilhelm-Tietjen-Stiftung für Fertilisiation Ltd., sind diese Strukturen aufs Extreme zum Vorschein gekommen. Wir müssen jetzt etwas tun!
Allein die ABC Chronik beweist, dass dies notwendig ist. Wegen der zunehmenden Professionalisierung und Zementierung der rechtsextremen Szene, ist es ungebrochen notwendig, über Gegenstrategien nachzudenken. Es ist nicht darauf zu hoffen, dass sich der Rechtsextremismus von selbst erledigen wird, sondern eher zu befürchten, dass sich Funktionäre rechtsextremer Parteien in Stadt- und Gemeinderäten, in Kreis- und Landtagen festsetzen werden.

So entstand das Aktionsbündnis Courage, kurz ABC, welches sich Zivilcourage und die Bekämpfung jeglicher neofaschistischer Ausuferung zur Aufgabe gemacht hat. Ziel ist es, eine kontinuierliche und demokratische Plattform für Aufklärung und gewaltfreien Widerstand gegen Rechtsextremismus zu installieren und kontinuierlich voranzutreiben. Die fast dreißig Mitglieder, deren Alter sich im Rahmen von 15 bis 46 Jahren bewegt, haben den Wunsch, effektiv und nachhaltig ihre Mitbürger aufzuklären und gleichfalls den Nazis zu zeigen, dass Pößneck nicht zu einer „national befreiten Frontstadt“ wird.

Konzept des Aktionsbündnis Courage:

Das Pößnecker Aktionsbündnis Courage gegen Rechtsextremismus.
Auszug aus "Signale für Demokratie" erschienen im August 2007. Herausgeber ist die Friedrich-Ebert-Stiftung , Landesbüro Thüringen.

Von Sebastian Klauder und Philipp Gliesing

Im April 2005 feierten über tausend Neonazis aus Deutschland, England, Schweiz und Österreich zusammen mit sächsischen NPDMitgliedern das Abschiedskonzert einer Rechtsrock-Band im Pößnecker Schützenhaus. Die Mitglieder der Band, welche als erste deutsche Musikgruppe als kriminelle Vereinigung rechtskräftig verurteilt wurde, mussten wenige Wochen später Haft antreten. Dreihundert unzureichend informierte Polizeibeamte konnten dem Rechtsrockkonzert nichts entgegensetzen und ließen die Neonazis in die Stadt. Die Sicherheitsbehörden - auch der Verfassungsschutz - wurden offenbar überrascht. Eine junge Pößneckerin sagte dazu: „Mich überfiel ein Gefühl von Ohnmacht, Verzweiflung und Wut.“ Es treffen sich engagierte Jugendliche der Stadt und versuchen, aus dem Abend die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. In den Jahren 2005 und 2006 baute das so entstandene Aktionsbündnis Courage (ABC) mit Hilfe des Bildungswerks BLITZ e. V. ein Netzwerk auf, um eine nachhaltige Arbeit in der Stadt Pößneck zu gewährleisten.

Etablierung des Rechtsextremismus im ruhigen Hinterland
Der 2. April, der Tag des Konzerts, war und ist trauriger Höhepunkt der braunen „Randerscheinung“, die langsam auf dem Boden einer schwachen Zivilgesellschaft entstehen konnte. Es bildeten sich eine lokale Neonazistruktur und eine rechtsradikale Subkultur. Ab 2000 erhöhte sich der Organisationsgrad der Szene. Einige Gebiete wurden durch Anwendung von Bedrohung und Gewalt zur „national befreiten Zone“ erklärt. Im April 2000 organisierte die NPD eine Demonstration. Es kam zu Festnahmen wegen Volksverhetzung und Waffenbesitz, neben Unterschriftenaktionen wurden Propagandamittel an Jugendcliquen verteilt. Es folgten eine Serie von Angriffen auf Geschäfte von Migrant/-innen, Gewalt gegen Punks, Linke oder Homosexuelle in den Jahren 2003 und 2004.

Vom Innenleben der Initiative
Zu Beginn der Arbeit hatte das Bündnis vor allem mit geringer Akzeptanz von außen, insbesondere seitens der Stadtväter um den damaligen Bürgermeister zu kämpfen. Neben dem Werben um Akzeptanz gehörte die interne Weiterbildung zu den Kernaufgaben des Bündnisses. Die ABCler nahmen in einem „Toleranz-Training“, einem Wochenendseminar des Bildungswerks Blitz e. V. in Hütten, teil, um die Kommunikation zu verbessern. Es sollte um persönliche Beweggründe sowie um das Kennenlernen anderer Denk- und Sichtweisen innerhalb des ABC-Teams gehen.>

Die eingerichtete Kontaktstelle für Demokratie und Zivilcourage (CIVITAS/Blitz e. V.) ist ein fester Partner in fachlicher Beratung und finanzieller Trägerschaft geworden. Sie zeichnet verantwortlich für die lokale Netzwerkarbeit. Durch das Bundesförderprogramm CIVITAS entstand finanzieller Spielraum, der auch die Durchführung größerer Projekte und Veranstaltungen ermöglicht. Das Bündnis pflegt gute Kontakte zur Stadt und Kirche, zu Bildungs- und Freizeiteinrichtungen sowie zu Parteien. Im Präventionsrat der Stadt hat das ABC einen festen Platz gefunden.>

Handeln gegen Rechts - Veranstaltungen und Aktionen
Zu einer der erfolgreichsten Veranstaltungen gehörte das „Erste Bundesweite Initiativentreffen in Pößneck“. Das „Ini-Treffen“ entstand in Kooperation mit der Amadeu-Antonio-Stiftung (AAS). Dank einer Internetplattform konnte Kontakt zwischen ost- und westdeutschen Initiativen hergestellt werden. Während eines dreitägigen Seminars konnten die Teilnehmer Erfahrungen austauschen, über Gegenstrategien diskutieren und Kontakte knüpfen. Das Ziel bestand darin, das Engagement nach außen zu tragen und das ABC zu stärken. Als Ergebnis des Seminars entstand die „Pößnecker Erklärung“, in der eindringlich auf die Bedeutung der Arbeit gegen Rechtsextremismus hingewiesen wurde. Im November 2006 wurde in Zusammenarbeit unter anderem mit der Landesarbeitsgemeinschaft Antira/Antifa Thüringen und der Evangelischen Kirche Pößneck der 16. Antirassistischer/Antifaschistischer Ratschlag veranstaltet. Ziel dieser, jedes Jahr in einer anderen Thüringer Stadt stattfindenden, Veranstaltung ist es, ein öffentliches Zeichen gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit zu setzen und Aufklärungssowie Bildungsarbeit zu leisten. Neben einem Plenum und einer Demonstration wurden verschiedene Workshops zum Thema „Rechtsextremismus“ angeboten, die Interessengruppen zusammenbringen konnten.

Die Ausstellung der „Weiße Rose Stiftung e.V.“ mit dem Thema „Die Weiße Rose - Studentischer Widerstand gegen den Nationalsozialismus 1942/43“ konnte nach Pößneck geholt werden. Zur Vernissage boten die Veranstalter eine szenische Lesung aus Briefen und Schriftstücken von den couragierten Akteuren der damaligen Zeit. Abgeschlossen wurde die Ausstellung mit einer Lesung der Schindler-Biografin Erika Rosenberg.

Trotz vieler kleiner Erfolge findet sich Rechtsextremismus bis in die Mitte der Gesellschaft Pößnecks wieder. Es ist schwer, junge Erwachsene aus Kameradschaften zu holen und mit ihnen zu sprechen. Deshalb sind die Stärkung von Zivilcourage und der Ausbau einer lebenswerten Kommune überaus wichtig. Ein Hauptziel für 2007 besteht darin, das ABC noch stärker in das Stadtleben zu integrieren. Durch die Änderung der Rechtsform in einen eingetragenen Verein entstehen neue, langfristige Perspektiven. Es existiert kein Mangel an Ideen für neue Veranstaltungen und Projekte.


Zur Nachahmung empfohlen - Wie im thüringischen Pößneck das ABC, eine mittlerweile sehr respektierte Jugendinitiative gegen Rechtsextremismus entstand.
Auszug aus "extrem". Einer bundesweiten Zeitschrift zum Thema Rechtsextremismus. Herausgegeben von der Jugendpresse Deutschland e.V. und Amadeu Antonio Stiftung. Ausgabe Frühjahr 2007.

Von Sebastian Klauder und Philipp Gliesing

Ein brauner Schatten über der Stadt…Es war ein sonniger Nachmittag am 20. April 2005, als sich bis dato unbekannte Pößnecker Jugendliche zusammen setzten und überlegten, wie sie aufkeimenden rechtsextremistischen Strukturen in Ihrer Stadt entgegentreten können.

Der Anlass wog schwer: Achtzehn Tage zuvor waren über tausend Rechtsextreme aus der gesamten Bundesrepublik sowie den angrenzenden EULändern in die Kleinstadt geströmt, um im „Schützenhaus“ einen NPD-Landesparteitag zu besuchen. Der Parteitag diente jedoch eher als Tarnung für das Abschiedskonzert der ersten verbotenen deutschen Musikgruppe „Landser“, dessen Frontmann Michael Regener wenige Tage später seine Haftstrafe antreten musste. Die Polizei, welche erst gegen 23 Uhr am Schützenhaus eintraf, da sie nach eigenen Angaben „zu spät vom Verfassungsschutz informiert“ wurde, war hilflos unterbesetzt. Aus diesem Grund konnte das Konzert nicht aufgelöst werden.

Doch in dem 13 000 Einwohner zählenden Ort gehören Rechtsextreme schon seit der Wende zum Alltag. Aus Pößneck stammt der nationalistische REP-Verein „Ein Herz für Deutschland e. V. “, der Mitte der Neunziger aktiv war. Es bildete sich eine lokale Neonazistruktur und eine rechtsradikale Subkultur, welche jedoch aufgrund von Haftstrafen, Familienbildung etc. in den späten 90 ziger Jahren fast vollständig zerfiel. Ab dem Jahr 2 000 erhöhte sich der Organisationsgrad der Szene wieder merklich, vor allem durch die NPD. Propagandamittel wurden an Jugendcliquen verteilt, viele prahlten mit der NPD-Mitgliedschaft und unterstützten diese beim Wahlkampf. So verwundert es auch nicht, dass es seit 2002 eine aktive Kameradschaft existiert, der „Nationale Widerstand Pößneck“. Das gipfelte schließlich in eine Serie von Angriffen auf Geschäfte von Migranten im Jahr 2003.

Seit dem Kauf des Schützenhauses durch den rechtsextremen HamburgerAnwalt Jürgen Rieger im Dezember 2003, erlebt die rechte Szene in Pößneck erneut einen Aufschwung. Sascha Jörg Schüler, von Jürgen Rieger als „Stützpunktleiter“ im Schützenhaus eingesetzt, beginnt einen lokalen JN-Stützpunkt zu eröffnen, welcher vom NPD-Kreisverband Saale- Orla unterstützt wird. Der Inhaber der Diskothek „WODAN“ im sächsischen Mücka, ist nach dessen Schließung in Sachsen ebenfalls im „Schützenhaus“ eingezogen. Zeitgleich mit einem Genehmigungsantrag für das Betreiben einer Gaststätte, einer Diskothek sowie die Nutzung des Festsaales im Schützenhaus begannen in Pößneck zahlreiche Propaganda-Aktionen der rechten Szene. Zunehmend wurden Aufkleber der NPD oder Rudolf Heß-Flyer der sogenannten „Freien Aktivisten Pößneck“ verbreitet. In den kommenden Monaten konnte man einen regelrechten Tourismus feststellen. Rechtsextreme aus ganz Deutschland kommen nach Pößneck, um sich die neue Immobilie zumindest anzusehen. Für weitere Massenveranstaltungen nutzen durften sie sie aufgrund von Auflagen zunächst aber noch nicht. Auch die Stadtverwaltung war wachgerüttelt worden. Die Initiative ABC sollte eigentlich ein Bündnis mehrerer Jugendeinrichtung im Saale-Orla-Kreis werden. Durch die überraschend hohe Beteiligung von Jugendlichen entwickelte sich das ABC jedoch zu einer selbständigen Jugendinitiative, welche durch offene Jugendarbeit begleitet wird. Sehr bald suchten die jungen Leute den Kontakt zu anderen Initiativen in Deutschland, sei es in Wurzen, Pirna, Verden sowie zur Berliner Amadeu Antonio Stiftung, mit deren Hilfe erste Veranstaltungen durchgeführt werden konnten. Das ABC erstellte ein Konzept und baute Strukturen auf. Demokratische Prinzipien innerhalb der Gruppe und die nötige Selbstreflektion formten und stabilisierten die Initiative.

Einbindung der Stadt
Angestrebt wurde die Einbindung von Parteien, Kirche, Stadtverwaltung, etc. in die gewaltfreie Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus vor der eigenen Haustür. Zunächst hatte der damalige Bürgermeister keine Lust „gegen Nazis“ zu sein, doch dank der Pressearbeit und Veranstaltungen durch das ABC handelte er schließlich. Nach anfänglicher Scheu der Lokalmedien („setzen wir diese Leute nicht eine Gefahr aus?“), wird inzwischen regelmäßig über Aktionen der Initiative berichtet. Das ist unerlässlich, wenn man gesichtzeigend andere anstecken will. Es entstand auch ein Präventionsrat. Mit den regelmäßigen Aktionen, welche von Lesungen über Seminare bis hin zu Musikkonzerten reichen, versucht das ABC explizit Pößnecker Bürger ins Gespräch zu ziehen, um diese über die rechte Szene zu informieren. Die Handlungsoptionen des zivilgesellschaftlichen Antifaschismus sind vielseitig. Bildungs- und Schularbeit, Aufklärung über örtliche rechtsextreme Aktivitäten, Erinnerungs- und Geschichtsarbeit und Opferberatung. Angesichts dieses breiten Spektrums benötigen wir Ressourcen und einen langen Atem. Es ist auch wichtig, dass Aktionen in der Öffentlichkeit entwickelt werden (Info-Tisch, Mahnwache, etc.), und dass interkulturelle und basisdemokratische Projekte in der Kommune entstehen. Mittlerweile erhoffen wir uns ein tätiges Netzwerk für die gesamte Region. Bis Ende 2006 waren mit Hilfe des Förderprogramms Civitas drei Mobile Teamer im Saale-Orla-Kreis unterwegs, um vor allem mit Schülern und Lehrern zu sprechen.

Natürlich ist trotz vieler kleiner Erfolge die Lage in Pößneck und auch anderswo nicht positiv zu überzeichnen. Rechtsextremismus findet sich nach wie vor als Einstellung bis in die Mitte unserer Kleinstadtgesellschaft wieder. Und in unserem Homepage-Forum lästern stolz lokale Neonazis über uns. Es ist schwer, junge Erwachsene aus Kameradschaften zu holen und mit ihnen zu sprechen. Der organisierte Rechtsextremismus ist kaum zu bändigen. Deshalb ist gerade die Stärkung von Zivilcourage und der Ausbau einer lebenswerten Kommune überaus wichtig. Wir wurden aktiv und es hat sich gelohnt. Und es geht weiter, macht mit!

Presseartikel vom 23.04.2005 aus der OTZ
Aktionsbündnis Courage gegen Rechts gegründet

Neustadt (OTZ/rom). Mehrere Jugendeinrichtungen des Landkreises haben sich am Mittwoch zum Aktionsbündnis Courage zusammengeschlossen. Damit kooperieren die verschiedenen Jugendinitiativen zum ersten Mal gemeinsam gegen rechts. Im Neustädter Freizeitzentrum trafen sich Vertreter des Bildungswerkes Blitz e.V. aus Hütten, von der Neustädter Initiative Projekte und Kultur (PUK), vom Pößnecker Jugendcafe Holy und vom Landesjugendring. "Ziel ist es, unsere Kräfte gegen diese Entwicklung zu bündeln und zu koordinieren", erklärte Michael Schaffhauser, Sprecher der PUK. Wichtig sei der regionale Bezug von Courage. Er rechne damit, dass sich künftig weitere Jugendeinrichtungen aus dem Saale-Orla-Kreis beteiligen werden.
Ein Anlass für die Gründung eines Aktionsbündnisses sei, dass das Pößnecker Schützenhaus in Eigentum Rechter ist und dort rechtsgerichtete Bands auftreten. Das Schützenhaus sei nicht nur ein Problem der Stadt Pößneck, sondern auch für die gesamte Region. "Wir wollen Zeichen setzen, dass es auch eine andere Kultur gibt und den Jugendlichen dazu Angebote machen", sagt er zu den Plänen von Courage.
Als erste Schritte sollen eine gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit aufgebaut werden und die Zusammenarbeit mit den Schulen verstärkt werden. "denn die Jugendarbeit sei von zentraler Bedeutung", erklärte Schaffhauser weiter. Außerdem will Courage Experten einladen und Erfahrungen anderer Initiativen sammeln. In Pößneck treffen sich heute um 16Uhr im Jugendcafe Holy Interessierte, die sich an der Initiative beteiligen wollen.
Michael Schaffhauser teilte in diesem Zusammenhang mit, dass gegen die Jugendlichen aus der rechten Szene, die in Neustadt das Cafe Exil im Freizeitzentrum am 12.März angriffen (OTZ berichtete am 15. März) insgesamt acht Anzeigen erstattet wurden.